Online-Petition jetzt kürzer – steigen deshalb die Nutzerzahlen?

Für Online-Petitionen an den Bundestags-Petitionsausschuss gelten neue Verfahrensregeln. Darüber berichtet der Bundestag in einer Pressemitteilung vom 16. November 2011. Am 3. Januar dieses Jahres wurde das Thema nun von netzpolitik.org aufgegriffen. Denn die beschlossenen Änderungen gelten seit Jahresanfang.

Geändert hat sich dies: Vier Wochen lang können Online-Petitionen nun diskutiert werden. Und innerhalb von vier Wochen müssen sich auch 50000 Mit-Zeichnerinnen und -Zeichner finden, damit das Petitionsthema im Petitionsausschuss unter Ladung des Petenten öffentlich diskutiert wird. Bislang galt eine Diskussionszeit von sechs Wochen. Die 50000 Mit-Zeichner mussten sich allerdings bereits nach drei Wochen gefunden haben. Mit der Neuregelung soll nun Verwirrung bei den Nutzerinnen und Nutzern der Online-Petitionen minimiert werden. Vielleicht wird dadurch ja die Beteiligung an dem Verfahren gesteigert. Denn trotz des recht niedrigschwelligen Zugangs zu den Online-Petitionen haben die Petitionen schon beteiligungsstärkere Zeiten erlebt.

Bei der Beschäftigung mit dem Thema bin ich auf den Arbeitsbericht 127 des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (Riehm et. al. 2008) gestoßen. Dieser dürfte ein Standardwerk zu Online-Petitionen und ähnlichen Formen der Bürgebeteiligung im weltweiten Vergleich und in Deutschland im besonderen sein. Die Autoren resümieren darin, dass die bisher praktizierte Form der E-Petition beim Deutschen Bundestag bereits ein guter Schritt in Richtung besserer Bürgerbeteiligung und mehr Transparenz und Öffentlichkeit ist, wie sie nach der Reform von 2005 gedacht gewesen war. Denn damals wurde das Institut der öffentlichen Anhörungen geschaffen, die bei massengezeichneten Petitionen durchzuführen sind. Denn dieser Fall gilt nicht nur für E-Petitionen, sondern auch für die Offline-Varianten (vgl. hierzu Riehm et. al. 2008: 52/53).

Gerade die Online-Petitionen werden mehr und mehr zum Betätigungsfeld für netzpolitisch Aktive. Das zeigen schon die Themen, die es in die öffentliche Anhöhrung geschafft haben. Zählten Riehm et. al. 2008 noch Themen auf wie Nichtraucherschutz, Generation Praktikum, Erhöhung des Wehrsolds und Pendlerpauschale (vgl. ebd.), nennt die Wikipedia für 2009 Petitionen gegen Indizierung und Sperrung von Internetseiten, gegen die GEMA, gegen Verbote von Action-Computerspielen und für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (vgl. Wikipedia 2012).

Doch wer nun denkt, wegen der Öffnung Richtung Internet erlebe das Petitionswesen beim Bundestag einen Boom, der irrt. Weder die Zahl der Petitionen, noch die der daran Beteiligten (denn eine Massenpetition kann ja Tausende Unterzeichner haben, wie wir gesehen haben) befinden sich aktuell auf Höchstständen.

Die gab es in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit jährlich mehr als 1 Million beteiligten Petentinnen und Petenten und fast 20000 neuen Petitionen pro Jahr. In den 2000er Jahren lag die Zahl der Petitionen pro Jahr hingegen durchschnittlich bei guten 17000 und die Zahl der Beteiligten bei guten 540000 pro Jahr (vgl. hierzu Riehm et. al. 2008: 58). 2009 gab es 18861 neue Petitionen, 2010 waren es 16849 (vgl. Wikipedia 2012).

Die Öffnung des Petitionswesen in Richtung Internet hat also nicht zu einer breiteren Beteiligung am Petitionswesen geführt. Das mag aber auch daran liegen, dass Petitionen ein Mittel klassischer Bürgerbeteiligung sind. Denn in Deutschland richten die Petenten ihre Petition an einen Adressaten, der eine Institution des repräsentativen demokratischen Systems ist: Bundestag, Länderparlamente o.ä. (vgl. Riehm et. al. 2008: 33).

Hinzu kommt, dass die Online-Petition streng genommen ja eine staatliche Maßnahme ist, denn der Parlaments-Staat entscheidet top-down, dass er sich für gewisse Bereiche den Eingaben der Bürgerinnen und Bürger öffnet. Es ist also allenfalls E-Partizipation, gerade weil aktuell vor allem herkömmliche Beteiligungsformen an die neuen technischen Möglichkeiten angepasst werden (vgl. Riehm et. al 2008: 103 – 105). Und der Petitionsausschuss als parlamentarisches Gremium kann wiederum nur eine Empfehlung an das Parlament aussprechen, die dieses nicht einmal befolgen muss.

Möglicherweise ist dies der Grund, warum es nicht mehr Beteiligung an den Online-Petitionen gibt. Denn es ist eine traditionelle Methode, deren Erfolg kaum direkt durch die Petenten beeinflussbar ist. Bürgerschaftliches – und auch politisches – Engagement folgt aber dem übergreifenden sozialen Wandel und trennt sich immer mehr von klassischen Formen und Milieus. Wie Lebensläufe immer flexibler werden und soziale Beziehungen zunehmend Patchwork-Charakter annehmen, so gilt dies auch für das Engagement, das sich immer wieder neue Wege sucht (vgl. hierzu Zimmer/Vilain 2005: 105).

Gerade beim Internet-Engagement bildet sich aber eine Schicht sehr gebildeter, extrem interessierter, informierter und kommunikationsstarker politischer Netz-Aktivisten heraus. Allensbach zählt zehn Prozent der Bürgerinnen und Bürger dazu (vgl. Bruttel/Köcher 2011: 20 – 24). Diese Schicht verfügt sicher über Ressourcen, ihre Anliegen auf anderen Wegen als die Petition wirksamer in den politischen Diskurs einzubringen.

Daraus ergibt sich auch ein Gleichheits- und Gerechtigkeitsproblem, dass Annette Zimmer und Michael Vilain (2005) allgemein für das bürgerschaftliche Engagement aufzeigen:

„Vor allem diejenigen, die bereits sehr gut integriert sind, profitieren von ihrem Engagement in sozialer, wie zum Teil auch in beruflicher Hinsicht. Dagegen sehen sich diejenigen, denen soziale Kontakte fehlen und die wenig in lokale Gemeinschaften integriert sind, mit strukturellen Hindernissen konfrontiert.“ (Zimmer/Vilain 2005: 56)

Insofern wundert es nicht, dass Riehm et. al. gar nicht die Übertragung des Petitionsaktes in die digitale Welt als das Revolutionäre und Entwicklungsfähige beurteilen, sondern die Herstellung von mehr Öffentlichkeit und die Schaltung von die Petitionen begleitenden Diskussionsgruppen. Klar wenden sie sich gegen die Weiterentwicklung der Petitionen zu einem Instrument der direkten Demokratie. Zu unsicher sei die Repräsentativität eingebrachter Petitionen.

Sie regen an, in diese Felder weiteres Engagement zu investieren. Die begleitenden Diskussionen könnten dem Austausch von Pro- und Contra-Argumenten für die Petitionen dienen. Sie könnten aber auch durch die Petitionsadressaten verwendet werden, um Anhörungen vor der Entscheidungsfindung durchzuführen und Entscheidungsvorschläge zu erarbeiten oder zur Diskussion zu stellen. Zudem biete ein solches Forum weitere, nachträgliche Auswertungsmöglichkeiten, um die Dimensionen eines Themenkomplexes zu erfassen – wichtig für die Vorbereitung weiterer Entscheidungen in einem Themenfeld (vgl. hierzu Riehm et. al. 243ff.).

Literatur

Bruttel, Oliver u. Renate Köcher (2011): Social Media, IT & Society 2011. 1. Infosys-Studie. Frankfurt. Online im Internet: http://www.infosys.com/german/newsroom/press-releases/documents/social-media-it-society2011.pdf [Stand: 12. Januar 2012].

Riehm, Ulrich et. al. (2008): Öffentliche elektronische Petitionen und bürgerschaftliche Teilhabe. Endbericht zum Arbeitsprojekt. Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag, Arbeitsbericht 127. Online im Internet: http://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Arbeitsbericht-ab127.pdf [Stand: 12. Jauar 2012].

Wikipedia (2012): Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Online im Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Petitionsausschuss_des_Deutschen_Bundestages [Stand: 12. Januar 2012].

Zimmer, Annette u. Michael Vilain (2005): Bürgerschaftliches Engagement heute. Münster: Schriftenreihe der Stiftung Westfalen-Initiative, Bd. 10. Online im Internet: http://www.westfalen-initiative.de/files/239763_band_10_b__rgerschaftliches.pdf [Stand: 12. Januar 2012].

Online-Petition jetzt kürzer – steigen deshalb die Nutzerzahlen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*