Werthaltige E-Demokratie muss integrieren

E-Demokratie! Welche Versprechen schwingen in diesem trendigen Wort mit! Hinz und Kunz (aus der Fachöffentlichkeit) diskutieren mittlerweile darüber, wie sich das Internet, iPads und Laptops nutzen lassen, um dieses Land zu demokratisieren. Selbst in Boulevard-Talkshows geht es auf einmal um „Liquid Feedback“, Twitter, E-Petitionen, ACTA und Ähnliches. Nur selten reflektiert jemand, dass die genannten technischen Mittel doch eben nur technische Mittel sind, die allein noch keinen demokratischen Frühling machen.

E-demokratische Verfahren eignen sich dazu, politische Diskurse anzustoßen und zu entwickeln. Meine These ist im folgenden Text, dass die Funktion von E-Demokratie die Integration dieser Diskurse in die herkömmlichen Diskurse der Gesellschaft ist, damit sie Wirksamkeit entfalten können.

Denn schnell wird jedem klar, dass e-demokratische Verfahren nicht reif für digital ablaufende Entscheidungsfindungen sind. Dazu äußert sich beispielsweise Monika Belz immer wieder, unter anderem in einem Beitrag über den Einsatz von Wahlcomputern und Online-Abstimmungen (vgl. Belz 2011). Ich selbst habe diesen Text zum Anlass für meinen Beitrag Geht oder geht nicht? Online-Parteitage und -Wahlen genommen.

Diese Debatte würde niemals in solcher Stärke geführt, hätte es den rasanten Aufstieg der Piratenpartei nicht gegeben. So wirksam ist die Themensetzung durch die Vereinigung, die eher einer Gewerkschaft der Nerds als einer wirklichen politischen Partei gleicht, dass die „etablierten“ Parteien durchaus populistisch auf den für sie neuen Themenbereich einschwenken, weil sie scheinbar ihre Felle davonschwimmen sehen.

Den anderen Parteien rät Markus Linden auf dem Debatten-Portal des Deutschlandfunks zu deutlich mehr Skepsis und einer offener geführten Auseinandersetzung mit den Newcomern:

„Die Piraten und ihre Inhalte werden hofiert, ihr positives Image kaum hinterfragt. Vor dem Hintergrund der […] bisherigen programmatischen Monotonie der Bewegung wäre zwar schon aus rationalen Erwägungen eine offene parteipolitische Auseinandersetzung angebracht. Die etablierten Parteien scheuen sich aber davor, weil sie das Label des Gestrigen fürchten, welches der Kritik an „Netzfreiheit“ und „Mehr Demokratie“ anhaften würde.“ (Linden 2012)

Wenn schon demokratische Entscheidungen kaum über e-demokratische Verfahren getroffen werden können, was ist dann das Demokratieförderliche daran? Es ist die Deliberation! Darüber sind sich wiederum viele einig. Mit den verschiedenen neuen – oder auch als neu verkauften – Mitteln wie Online-Konferenz-Software, Liquid Feedback, Wiki, Twitter etc. schaffen netzpolitisch aktive Akteure neue Foren des informierten Raisonnements, um mal mit Habermas zu sprechen. Christoph Bieber präzisiert dies folgendermaßen für den Fall der Piratenpartei:

„Für die Organisationswirklichkeit der Partei erscheint bislang jedoch die Einbindung einfacherer Verfahren (etwa des „Dicken Engels“ als virtuelles Vereinslokal) prägender zu sein. Ein vorläufiges Resultat ist die Stärkung dezentraler Diskussionen und einer innerorganisatorischen Offenheit, die beteiligungsfördernd ist und zugleich stilbildend für das Führen parteiinterner Debatten zu wirken scheint.“ (Bieber 2012: 32)

Die Chancen der E-Demokratie für den demokratischen Diskurs könnten in fünf Idealen liegen (vgl. dazu Linden 2012):

  • Gleichheitsideal
  • Partizipationsideal
  • Informationsideal
  • Responsivitätsideal
  • Rationalisierungsideal

Doch ist Vorsicht geboten bei der Adaption der Habermas’schen Thesen vom Strukturwandel der Öffentlichkeit auf den netzpolitischen Diskurs. Gerade das Informations- und das Rationalisierungsideal sind möglicherweise nur auf den ersten Blick Pro-Argumente für die Förderung deliberativer Demokratie. Zwar geht Habermas in seiner Theorie wie auch in seinem Ansatz der deliberativen Demokratie in der Tat davon aus, dass rationale (Fach-)Diskurse definieren, welche politischen Entscheidungen legitim sein könnten. Wirklich als legitim anerkannt würden diese aber erst, wenn alle potenziell Betroffenen sich dieser Auffassung anschließen könnten (vgl. Habermas 1976: 271 – 273).

Da Politik vor allem danach strebt, gesellschaftsweit gültige Entscheidungen zu treffen1, muss diesen Annahmen folgend also die politische Öffentlichkeit eine Entscheidung billigen können. Das wird gerade durch die neuen digitalen Foren immer schwerer. Verbunden mit einer auch „offline“ massiver werdenden Spezialisierung und Segmentierung entstehen immer mehr zersplitterte Fachöffentlichkeiten, die kaum noch miteinander verbunden sind. Digital vorbereitete Politik muss also den Weg zurück in die analoge Öffentlichkeit suchen, damit sie gesellschaftliche Relevanz erreichen kann (vgl. hierzu Linden 2012).

Nicht jeder zersplitterte Diskurs macht das Land also automatisch demokratischer. Und nicht jede zum Meinungsaustausch eingesetzte technische Neuerung ist per se demokratisierend:

„Die Demokratie ist eine zu große Idee und Errungenschaft, als dass sie durch eine bloß technische Innovation grundsätzlich zu transformieren wäre. Einen Nutzen erhalten digitale Beteiligungsformen deshalb nur, wenn man sie an etablierte Institutionen andockt und sie deren demokratische Funktionen stützen.“ (Linden 2012)

Trotz aller technischen Möglichkeiten bleibt also die „analoge“ politische Öffentlichkeit der Maßstab. Darauf habe ich auch kürzlich in einem Kommentar zu einem Text von Monika Belz (Belz 2012) über Verbindlichkeit, Information und Transparenz in Bürgerbeteiligungsprozessen hingewiesen:

„Es geht […] nicht darum, dass Online-Netzwerke Übersetzungsleistungen vornehmen, um Offline-Bürger in die Online-Welt hineinzuziehen. Vielmehr müssen die Online-Netzwerke ihre Schnittstellen so konfigurieren, dass sie anschlussfähig an die Diskurse der analogen Welt werden.“

Oder, wie es Thomas Krüger, der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung sagt:

„Eine aufgeklärte und demokratische Gesellschaft darf sich aber nicht von der Technik treiben lassen. Auch dort, wo gar anstelle von Gleichheit, Transparenz und Meinungsvielfalt eine Diktatur der ‚GutVernetzten‘ [sic!] droht, sind Inhalte für alle zu schaffen – in öffentlichen Räumen jenseits von Massenmedien und digitaler Welt.“ (Krüger 2012)

Selbst die Piraten verhalten sich in diesem Sinne. Ihre innovativen digitalen Werkzeuge enfalten ihre Wirkung nämlich zunächst vor allem parteiintern. Damit lassen sich beispielsweise die in der Tat imponierenden innerparteilichen Mobilisierungen organisieren, wie sie im gerade angelaufenen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen vollbracht wurden (vgl. Bergt 2012). Um befriedigende Wahlergebnisse zu erzielen – und das sind nach Piraten-Meinung 5 Prozent plus x -, sind ganz altmodische Methoden des Straßenwahlkampfes gefragt. Das konstatiert Linden sehr pointiert:

„Von den Piraten kann man auch ganz andere Dinge lernen. Sie gehen den Weg über die Parlamente und betreiben engagierten Straßenwahlkampf.“ (Linden 2012)

Anmerkungen

1So eine gängige Definition von Thomas Meyer. Der Einfachheit sei empfohlen, Näheres dazu in meinem Beitrag Warum eigentlich Beteiligung? in diesem Blog nachzulesen.

Literatur

Bergt, Svenja (2012): Schnell mal telefoniert. Neuwahl bringt NRW-Piraten auf Touren. In: taz.de, 14.3.2012. Online im Internet: http://www.taz.de/!89639/ [Stand: 19.3.2012].

Belz, Monika (2011): Wahlcomputer und Online-Parteitage – Gedanken zum Weg zu Demokratie, Beteiligung und Verbindlichkeit (2). Eintrag vom 18.12.2011 im Blog „Loreenasworte“. Online im Internet: http://loreenasworte.wordpress.com/2011/12/18/115/ [Stand: 8.1.2012]

Belz, Monika (2012): Bürgerbeteiligung ohne Verbindlichkeit, Information und Transparenz? Online im Internet: http://loreenasworte.wordpress.com/2012/03/04/burgerbeteiligung-ohne-verbindlichkeit-information-und-transparenz/#comments [Stand: 19.3.2012].

Bieber, Christoph (2012): Die Piratenpartei als neue Akteurin im Parteiensystem. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 7/2012, S. 27 – 32. Online im Internet: http://www.bpb.de/files/G89LL0.pdf [Stand: 19.3.2012].

Habermas, Jurgen (1976): Legitimationsprobleme im modernen Staat. In: Ders. (1976): Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. Frankfurt/Main. S. 271 – 303.

Krüger, Thomas (2012): Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt. Online im Internet: http://diskurs.dradio.de/2012/03/20/der-ort-des-politischen-in-der-digitalen-medienwelt/ [Stand: 21.3.2012].

Linden, Markus (2012): Die Onlinedemokratie – Falsche Versprechen und reale Chancen digitaler Beteiligungsformate. Online im Internet: http://diskurs.dradio.de/2012/02/15/die-digitale-demokratie-falsche-versprechen-und-reale-chancen-digitaler-beteiligungsformate/ [Stand: 19.3.2012].

Werthaltige E-Demokratie muss integrieren