Derzeit lese ich mit einigem Vergnügen die Aufsätze des Bandes 7/2012 Digitale Demokratie aus der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Gestutzt habe ich heute bei der Lektüre des Textes Digitale Politik und Partizipation: Möglichkeiten und Grenzen von Daniel Roleff (S. 14-20). Dabei handelt es sich um einen sehr lesenswerten Überblickstext, der die wichtigsten Problemaspekte von elektronischen Demokratie- und Partizipationsverfahren aufzeigt. Ein kleiner Abschnitt befasst sich mit E-Government. Dort heißt es:
„Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Verwaltung soll administrative Prozesse vereinfachen und den Bürgern mehr Service bieten. (…) Noch gibt es keine aussagekräftigen und fundierten Studien, die diese Ansprüche bestätigen.“ (17)
Eine solche Diagnose ist schon bemerkenswert! Roleff führt an, dass E-Government, das gemäß der sogenannten Speyerer Definition E-Government gern als elektronisch unterstütztes Regieren und Verwalten beschrieben wird, durch die Regierungsinitiative Media@Komm zwischen 1999 und 2003 einen wichtigen Schub erhalten habe. Er schreibt zutreffend weiter:
„Termine vereinbaren, Informationen einholen: Teile
der klassischen Dienstleistungen von deutschen Amtsstuben gehören mittlerweile zum Standardrepertoire von Kommunal- und Städteportalen im Internet. “ (ebd.)
In der Tat findet sich auf fast jeder Stadt-Internetseite mittlerweile eine Abteilung, auf der ich Formulare zum Herunterladen und Ausdrucken finde. Es ist auch möglich, E-Mails an die Verwaltung zu schreiben. Digitale Bebauungspläne? Übersichtliche Ratsinformationen? Das Stadtrecht an prominenter Stelle? Informationen über Beteiligungsmöglichkeiten? Da werden die Angebote schon sehr, sehr dünn.
Und schauen wir in die Verwaltung selbst hinein, dann beherrscht dort nach wie vor das Papier die Arbeitsabläufe. Computer sind dort immer noch bessere Schreibmaschinen. E-Mail-Kommunikationen werden nach wie vor häufig ausgedruckt, weil irgendjemand im Verlauf des Workflows das lieber so hätte. Immerhin soll das neue E-Governement-Gesetz sogenantes ersetzendes Scannen gestatten. Bye bye, Internet-Ausdruck!
Vergegenwärtigen wir uns: Media@Komm ist bereits rund zehn Jahre her. In diesen zehn Jahren wird eine komplette Europa-Währung eingeführt und bricht schon fast wieder zusammen. Es gab diverse Regierungswechsel, arabische und anderweitige Revolutionen, die Computer haben ihre Leistungsfähigkeit vervielfacht. Und in den öffentlichen Körperschaften gibt es immerhin schon PDF-Dateien zum Herunterladen und Ausdrucken! Toll!
Dazu kontrastieren dann die zumindest unterschwellig enttäuschten Feststellungen, dass Bürgerhaushalte, die in vielen Kommunen in Mode gekommen sind, unter so wenig Beteiligung leiden. Roleff illustriert seinen Text mit dem Beispiel der „Redbridge Conversation“, einem digital geführten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern der britischen 271000-Einwohner-Stadt Redbridge, die nach weiteren Einsparungsmöglichkeiten suchte. Nur 3900 Bürgerinnen und Bürger hätten Vorschläge eingereicht. (vgl. 14 u. 20)
In meinem Wohnort Münster – mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl – gibt es seit dem vorigen Jahr auch einen Bürgerhaushalt, der unter anderem auch online entwickelt wurde. In der westfälischen Metropole gab es sogar nur 400 Vorschläge bei einigen 1000 angemeldeten Nutzerinnen und Nutzern.
Ob diese Zahlen enttäuschend sind, wage ich zu bezweifeln. Nach meiner Meinung herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen den angegangenen Projekten und den nachhaltig implementierten Instrumenten. Zwar ist ein Leuchtturmprojekt wie ein Bürgerhaushalt etwas Feines. Allerdings bietet es eine immens hohe Eintrittsbarriere. Denn welcher Bürger, welche Bürgerin hat denn schon ausreichend Kenntnisse über die kommunale Haushaltserstellung und die gesamtstädtische Lage? Auch bei den „Offline“-Beratungen der Haushalte ist immer nur wenig interessiertes Publikum zugegen. Problematisch ist darüberhinaus, die Bürgerinnen und Bürger exakt dann in solche Prozesse einzubinden, wenn diese den Verdacht haben müssen, einfach nur Leistungskürzungen legitimieren zu sollen.
Sinnvoller wäre es, kleine Schritte zu unternehmen, anstatt von den Bürgern gleich die Beteiligung an Mammutprojekten wie dem Bürgerhaushalt zu erwarten. Papierlose Verwaltungen, offen zugängliche Daten, ein funktionierender, stetiger Rückkanal für online eingereichte Bürgeranregungen, auch online dialogbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen – Ansatzpunkte gäbe es reichlich. Hier wird aber zu wenig getan. Für mich ist ein Beispiel, wie es nicht funktioniert, das Portal direktzu Markus Lewe. Hier können über einen gewissen Zeitraum Fragen an den Münsterschen Oberbürgermeister online eingereicht werden. Über die Einreichungen wird online abgestimmt. Die Frage mit den meisten Stimmen wird dann nach dem Ende des Abstimmungszeitraums vom Oberbürgermeister beantwortet.
Die Qualität der Antworten ist dürftig und kommt über Standardschreiben der Stadtverwaltung nicht hinaus. Faktisch ist dieses Portal (auch die Bundeskanzlerin macht Ähnliches) ein Dialogverhinderungsinstrument. Denn die meisten Fragen werden nicht beantwortet. Richtig genutzt wäre das Internet, wenn die Münsteraner Stadtspitze Verfahren entwickelt hätte, um die eingehenden Fragen und Anregungen alle angemessen zu behandeln, anstatt die große Mehrheit einfach wegzufiltern.
Mehr als zehn Jahre befinden sich öffentliche Verwaltungen bereits auf dem E-Zug. Das richtige Mittel, die neuen Möglichkeiten in ihren Prozesse zu integrieren, haben sie offenbar noch nicht gefunden.