Warum eigentlich Beteiligung?

Bürgerbeteiligung – Das klingt doch nur auf den ersten Blick sympathisch, oder? Denn „beteiligen“ heißt ja so etwas wie „mitmachen lassen“. Das ist etwas anderes, als etwas allein oder selber zu machen. Politische Beteiligung ist trotzdem wertvoll. Allerdings muss sie geregelt ablaufen und in feste demokratische Prozesse eingebunden werden. Ich vertrete die These, dass dann die Legitimitation politischer Entscheidungen steigt – und dass sie dann auch gerechter werden.

Politische Partizipation oder auch Beteiligung – verstehen wir beide Begriffe in diesem Zusammenhang als synonym – werden gemeinhin definiert als

„jene Aktivitäten von Bürgern (…), welche in der Absicht ausgeführt werden, entweder direkt oder indirekt die politischen Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“ (zit. nach Suter 2005: 7, der sich wiederum auf eine Definition von Max Kaase und Alan Marsh aus dem Jahr 1979 bezieht).

Partizipation ist also nur ein Teil der Politik. Warum, das lässt sich bei einem Blick auf einige der vielen verschiedenen Defintionen des Begriffs herausfinden. Mir am sympathischsten ist die Definition des SPD-nahen Politikwissenschaftlers Thomas Meyer. Demnach ist Politik die

„Gesamtheit aller Aktivitäten zur Vorbereitung und Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugute kommender Entscheidungen.“

Den Aspekt von Macht und Konfliktregelung bringt David Easton in seine Definition ein. Demnach geht bei Politik um

„die autoritativ (von Regierenden, von Herrschenden) verfügte Verteilung von materiellen und immateriellen Werten in der Gesellschaft“.

Der Einfachheit halber sind die beiden genannten Definitionen dem Wikipedia-Artikel zu Politik (Stand: 4.1.2012, 18:50 Uhr) entnommen.

Deutlich wird an den Definitionsbeispielen, dass es bei Politik um Entscheidungen mit gesellschaftlicher Relevanz geht. Es geht um die Verteilung von Ressourcen, um die Herstellung gesellschaftlichen Konsens, um Prävention oder Lösung von Konflikten und – nicht zuletzt – um die Sicherung des Fortbestandes einer gesellschaftlich-staatlichen Einheit. Manche Entscheidungsprozesse interessieren mehr Menschen (beispielsweise die Verlängerung der Atomkraftwerk-Laufzeiten), andere weniger (vermutlich beispielsweise die Änderung des Seefischerei- und Seeaufgabengesetzes, die der Bundestag in seinen Sitzungen vom 1. und 2. Dezember 2011 beschlossen hat).

Mehr direkte Beteiligung statt repräsentativer Demokratie?

Beteiligung findet in der repräsentativen Demokratie auf allen Ebenen statt. Einzelne oder Gruppen finden sich fallweise zusammen und bringen sich – konventionell oder unkonventionell in Form von Bürgerinitiativen, Demonstrationen, Bewegungen im Social Web – in den politischen Prozess ein. In Parteien oder Interessenvertretungen beteiligen sich Bürgerinnen und Bürger wiederum institutionell. Immer finden sich Menschen, die sich einbringen. Die Parlamente haben immer genügend Abgeordnete. Und Einwohnerinnen und Einwohner der Bundes- oder Landeshauptstädte wissen auch, dass sich zu fast jedem Thema Aktivisten finden, die eine Demonstration durchführen.

Gerade Erscheinungen wie die Piratenpartei oder auch die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ scheinen darauf hinzudeuten, dass der Bedarf an Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Politik größer geworden ist. Ist deshalb das repräsentativ-demokratische System überholungsbedürftig? Sollte es gar abgelöst werden?

Sicher nicht. Denn es gibt kaum Möglichkeiten, mögliche verschiedene Interessen besser einzubinden, als über allgemeine Wahlen eine möglichst repräsentative Zahl von Vertreterinnen und Vertretern in Parlamente zu entsenden und für eine festgelegte Zeit entscheiden zu lassen. Dadurch werden sie etwas unabhängiger von tagesaktuellen Stimmungen. Wegen anstehender Wiederwahlchancen dürfen sie sich aber auch nicht komplett von der „öffentlichen Meinung“ entkoppeln.

Die Beteiligung oder Einbindung von Betroffenen, Interessierten, Experten, Engagierten etc. in Entscheidungsprozesse erweitert auf jeden Fall den Horizont der Entscheidungsträger und bringt möglicherweise neue Aspekte in den zu entscheidenden Sachverhalt ein. Alleiniger Maßstab darf die Bürgerbeteiligung für eine Entscheidung aber nicht werden. Denn charakteristisch dafür ist ja, dass sich diejenigen beteiligen, die sich von selbst dazu bereit erklärt haben oder die dazu gebeten worden sind.

Das Problem der großen Zahl

Das große Problem jeder pluralistischen Politik ist, dass nie sichergestellt werden kann, dass alle relevanten Meinungen und Akteure in die Entscheidungsfindung einbezogen worden sind. Man kann dies das Problem der großen Zahl nennen. Die Grundgesamtheit der potentiell zu Beteiligenden lässt sich kaum definieren.

Der Natur nach verschaffen sich die besonders engagierten Menschen in Beteiligungsprozessen besonders deutlich Gehör. Fraglich ist, ob deren Meinung zwingend dem Allgemeinwohl am nächsten kommt. Möglicherweise werden andere,  auch wichtige Meinungen vernachlässigt. Gleichzeitig ist es zeitlich und räumlich unmöglich, wirklich jeden und jede zu hören.

Mit den genannten Schwierigkeiten geraten Beteiligungsprozesse sehr schnell in ein Begründungsdilemma. Wer wurde beteiligt und wer nicht? Dies lässt sich kaum schlüssig begründen. Auf dieses Problem verweist unter anderem John Dryzek. Die Quelle dazu findet sich in meiner Magisterarbeit auf den Seiten 43 und 44. Ein Dilemma wie das gerade Geschilderte lässt sich am ehesten durch allgemeine und institutionalisierte, repräsentative Vertretungsmechanismen abmildern, glaube ich. Und deshalb hat es schon seine Richtigkeit, dass Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden, man von ihnen aber nicht verlangt, gleich alle politischen Entscheidungen komplett ohne die Parlamente zu treffen.

John Dryzek ist übrigens ein Befürworter von Bürgerbeteiligung. Er vertritt einen partizipativen Demokratieansatz. Frank Ulmer zitiert ihn in einem Vortrag so:

„Wer seinen Bürgern zutraut, dass sie ihre eigenen Belange vernünftig regeln können, wird selten enttäuscht. Aber den Politikern fehlt es meist an diesem Zutrauen.“

Der Vortrag findet sich auf S. 14 der Dokumentation „Bürgerbeteiligung und Planungsverfahren. Rechtliche Rahmenbedingungen neu gestalten?“ einer Tagung vom 29. Juni 2011 in Berlin.

Warum eigentlich Beteiligung?

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